Donnerstag, Juli 20, 2006

11.-20.07.2006 Riga bis Pavilosta


Unseren letzten Tag in Riga verbringen wir mit Vanda, Hafenmeister Arnis' ex-Frau. Sie hat Deutsch studiert und früher deutschsprechende Reisegruppen betreut. Nach ihrer Trennung hat sie neben ihrem fulltime-job und der Erziehung ihres heute 16jährigen Sohnes noch ihren Magister als Bibliothekarin gemacht und verwaltet heute als Sachbearbeiterin im Kulturministerium die ca. 1000 öffentlichen lettischen Bibliotheken. Alle Achtung! Mit runden Füßen kommen wir zurück zum Hafen, Michael sitzt im Cockpit und baggert gerade eine junge Lettin an, die er sich irgendwo angelacht hat. Er hat ja z.Zt. "sturmfreies Boot", weil er auf seine neue Crew wartet. Wir nehmen noch einen Abschiedsdrink mit Arnis und Viktor, einem der russischen Hafenbetreiber hier, den ich auch seit vielen Jahren kenne. Wir müssen versprechen, im nächsten Jahr wiederzukommen. Na, mal sehen. Die deutsche Hallberg Rassy 34 "Nina" läuft am Morgen mit uns aus nach Roja. Wir tanken nochmal 200 l Diesel am Ende des 5 sm langen Kanals und auf den ersten 10 Meilen verballern wir davon schon wieder ein paar Liter. Knallsonne und fast null Wind. Nach 2 Stunden ändert sich das und wir können bis Roja die Segel setzen. Auch wieder keine ganz ungetrübte Freude, der Winkel ist spitz und im Nullkommanix rollen uns wieder Wellenberge entgegen, die per Hand ausgesteuert werden müssen. Roja's Osta auf Kanal 10 antwortet nicht, so "entern" wir ohne Erlaubnis den Hafen. Der kleine Gästeliegerponton ist besetzt und so gehen wir ins Fischerbassin und lehnen uns an die dicken Autoreifen. Kaum fest steht schon die Grenzpolizistin da und wir wissen, warum keine Antwort kam: Sie spricht kein Englisch außer: Crewlist? Last Port? Next Port?! Wir gehen zu Fuß zum sogenannten "Yachthafen", wo die "Nina" den letzten freien Platz ergatterte und auch die amerikanische "Hippo" aus Mystic/Connecticut mit Tim und Steve liegt, die wir auch schon in Riga trafen. Ein junger Hafenboy versucht, uns davon zu überzeugen, daß wir doch in seinen Yachthafen passen: Da, wo wir liegen, kann es sehr teuer für uns werden. 30 Lat = 43 ? kassiert dort die "Administration". Aha! Wir haben das Gefühl, ihm geht unser Hafenliegegeld durch die Lappen, er darf an unserem Liegeplatz im Fischereihafen nicht kassieren, danken für seine Fürsorge und bleiben wo wir sind. Ventspils, unser nächster Hafen, ist 75 sm entfernt und wir legen um 4 Uhr morgens zusammen mit der "Hippo" ab. Ab morgen sollen uns Tiefausläufer mit Wind in Sturmstärke erreichen und die wollen wir lieber in einer größeren Stadt "abwettern". Noch 28°C und Ententeich, aber der angekündigte Wind 3-4 Bft. kommt. Nur dreht er nicht auf NW sondern auf SW und - da wir auf 75 sm nicht auch noch 20 verkreuzen können "burnen" wir mal wieder etliche Liter Diesel und sind um 6 Uhr an einer der freien Heckbojen fest. Der Mann von der deutschen "Ivalu" staunt: "Zwei so zarte Wesen auf so einem großen Boot?" Ich und zart! Der Mann braucht eine Brille! Trotz 25° im Schatten gibt's bei uns heute Labskaus mit allem Drum und Dran! Keine Chance, zum zarten Wesen zu mutieren. Die Amis kreuzen, auch auf die Winddrehung hoffend, mit ihren "Kontiki"-Segeln plus Motor und kommen fix und foxy 4 Stunden nach uns an. Die Wetteraussichten für die nächsten Tage: Gleichbleibend NW 5-6, in Böen 7, Gewitter. Zeit für Ölwechsel, Haare schneiden, Ansichtskarten schreiben (nur ich, falls jemand auf Post von Kirsten hoffen sollte!)! Nachmittags kommt Wind auf, dicke Wolkenberge und Regen. Holen unsere Heckleine durch, weil wir mit dem Bugspriet an die Holzpier bumsen. Das macht Kirsten nachts noch ein paar mal, bis wir feststellen, die Boje ist nicht für ein 16t-Schiff verankert und kommt hinter uns her. Wir rücken dadurch unserem linken Nachbarlieger, der "Nina" schon bedrohlich nahe. Um 6 Uhr morgens wecken wir unseren lettischen Nachbarn zur Rechten, um eine Querleine zu ihm anzubringen. Um 9 Uhr helfen uns Volker von der "Nina", Tim und Steve von der "Hippo" und ein dänischer Nachbar beim Ablegen. An unserer Heckboje können wir uns nicht mehr zurückziehen, sie ist fast von Hand zu greifen. Das "zarte Wesen" Kirsten hat sie ca. 4 m zur Pier gewinscht! Alle Nationalitäten arbeiten perfekt zusammen und das Ablegemanöver klappt super. Einziger möglicher Liegeplatz für uns ist eine schwedische 25t-Yacht, 56 Fuß lang. Nach 7 Leinen fest an der "Farr" und an Land ist der brummige Besitzer mit uns einverstanden und wir dürfen barfuß über sein Boot an Land schleichen. Leider müssen wir uns am übernächsten Tag wieder umlegen, weil der inzwischen direkt aufgetaute Schwede mit seiner Crew nach Kuressaare abfährt. Wieder autoreifenbewehrte Zementpier, die ihre rostigen Befestigungsdrähte in unsere Fender drückt. Am Strand ist idealer Wind und Brandung für Kite-Surfer. Ein Crack wagt sich weit auf's Meer und jagt dann in unglaublicher Geschwindigkeit zurück zum Strand. Faszinierend. Tim und Steve laden uns auf ihrer von Tim selbstgebauten "Hippo", die er über Irland nach Europa gesegelt hat, zu einer Fahrt auf der "Venta" ein. Von der Strandpromenade winkt man uns vermeintlichen Amis fröhlich zu. Die Baumwoll-Gaffelsegel haben schon bessere Tage gesehen, etliche Risse und Löcher lassen den Wind durchpfeifen. "Natural reef", natürliches Reff, sagt Tim fröhlich und lehnt unser Segel-Flick-Tape mit der Bemerkung ab, daß er sowieso neue Segel in Polen haben müsse und die vielen Löcher unseren Bestand aufbrauchen würden. Zum Staunen bringt uns dann unter Deck noch sein fest auf dem Fußboden verschraubter Haushalts-Gasherd. Wir haben eine Menge Spaß zusammen.Am 17. legen wir schon um 6 Uhr morgens ab. 16° und eisekalter Wind. Erstmal wieder motoren, Wind statt NW genau S/SW. Nach 3 Stunden entschließen wir uns zu kreuzen, haben ja diesmal nur 35 sm bis Pavilosta. Wunderbar, endlich kein Motorengeräusch und Vollzeug. Dem einzigen Segler, dem wir kurz vor Pavilosta begegnen, müssen wir ausweichen, um ihn nicht mittschiffs zu rammen. Der Holländer, der Schmetterling fährt und eigentlich uns hätte Platz machen müssen, bedankt sich winkend. Kurz darauf warnt uns irgendjemand, der uns auf dem Radar hat, unseren Kurs weiterzuverfolgen, weil wir auf seichtes Gewässer zusteuern. Dankeschön dem unsichtbaren Schutzengel, aber wir hätten jetzt ohnehin auf die Einfahrt zugehalten. Pavilosta hat uns wieder. 3 Stunden später hat's auch die "Hippo" mit ihren perforierten Segeln geschafft. Die wollen jetzt zur Erholung erstmal die Hafensauna nutzen und laden uns ein. Bei uns hat allerdings inzwischen die "Atair" mit Wolfgang und Gerri angelegt, denen wir einen Einlaufdrink zugesagt haben. Sie haben die 4 Sturmtage in Liepaja abgewartet. Außerdem war es Gerri gesundheitlich nicht gut gegangen. Der nette Grenzbeamte überläßt mir sein Büro, damit ich Haralds und Rita, meine und nun auch Kirsten's Freunde, anrufen kann. Haralds holt uns am nächsten Tag mit seinem 17 Jahre alten Vectra ab und fährt mit uns in die Provinzhauptstadt Kuldiga, an Wiesen mit vielen, vielen Störchen vorbei und zu den Ventas Ramba, den längsten Wasserfällen Europas, nicht hoch, aber weit über 200 m lang. Abends das übliche, Berge von Speisen und Getränken auf der überdachten Gartenterrasse, alles selbst gebaut und angebaut. Auch die holzbefeuerte Sauna, die Haralds extra für uns anschmeißt. Abends um 10 Uhr müssen wir hartbleiben, sonst würde es wieder bis Mitternacht bei unseren netten Freunden gehen. Ich habe außerdem Zahnschmerzen bzw. Kiefernvereiterung und morgen wollen wir nach Gotland,wo ich wohl einen Zahnarzt aufsuchen muß. Trotzdem kommen wir nicht vor Mitternacht ins Bett. Auf der "Atair" müssen wir noch einen "Absacker" trinken, der sich dann aber ganz schön vervielfältigte. Die wollen morgen auch weiter zum Farösund und Visby. Morgens kommt aber wahrhaftig Haralds nochmal mit einer Tüte voller Gartenschätze vorbei. Diese Letten! Kirsten muß nochmal an der Aries basteln, das Deck muß endlich von den Fußabdrücken der letzten Woche befreit werden und eine Stunde nach der "Atair" legen wir nach Gotland ab. Wahnsinns-Dünung, totale Flaute und dann kommt auch noch der Regen. Ich bin nach 1 1/2 Stunden so genervt von der Vorstellung, das jetzt 19/20 Stunden aushalten zu müssen, daß ich mich freue, als Kirsten zustimmt: Zurück nach Pavilosta und auf morgen hoffen. Der Grenzbeamte lacht: "Na, schon wieder da?" "Ja, es ist so schön hier in Pavilosta"! "Atair" schickt morgens um 6 eine SMS: "Ihr hättet durchhalten sollen, der gute Wind kam. Wir hatten eine schnelle Reise!" Na gut, hoffentlich gibt's die für uns morgen auch.Am 20. starten wir um 15 Uhr unseren zweiten Anlauf nach Gotland.