Montag, Juli 14, 2008

26. 6. - 11. 7. 08 Leba/Polen bis Kuressaare/Ahrensburg/Estland


Der Wettergott hat ein Einsehen. Nicht viel Wind, aber es reicht für viele Stunden blistern (Blister=unser 120qm-Segel) bei Sonnenschein nach Wladyslawowo (ex Großendorf). Unser "Minensucher" hat tatsächlich den freien Platz neben sich gegen alle Anwärter verteidigt und nimmt unsere Leinen an. Peter und Ute, so heißen sie, laden uns abends auf ihre "Dinah" ein, um bei ihnen Fußball zu sehen. Den Sieg der deutschen Mannschaft können wir allerdings kaum verfolgen, denn sie reden uns in Grund und Boden, puh. Am nächsten Morgen entschließen wir uns, mit der "Fortuna", wegen der "guten Großwetterlage" die 107 sm nach Klaipeda in Angriff zu nehmen. Der "Minensucher" hat einen schlechteren polnischen Wetterbericht gehört, dem er mehr vertraut und deswegen bleibt er und mir gefällt der Himmel nicht, aber das Wetterfax überzeugt mich. Doch die Reise fängt nicht gut an, in der Ausfahrt liegt ein Bagger und um dem auszuweichen, gerate ich zu weit aus der Fahrrinne: Rums! Nichts passiert, nur Sand unter uns, aber großer Schreck. Nach 3 Stunden Fahrt kommt von Radio Gdansk die Starkwindwarnung und da kommen auch schon die schwarzen Fronten auf uns zugestürmt. Zwei Reffs haben wir schon vorsichtshalber wegen der Nachtfahrt im Großsegel und beeilen uns, den Motor anzuwerfen (falls ein Blitz die Elektrik zerstört) und die Genua zu bergen. Dann dreht der Wind von jetzt auf gleich von Südost auf Nordwest und wir laufen nur unter gerefftem Groß über 7 kn. Gleich zwei Gewitterfronten rollen so über uns hinweg. Der Nordwest bringt seine hohen Wellen mit und die treffen auf die alten aus Südwest. Kreuzsee! und ich werde seekrank. Kirsten ist wie immer fit - gottseidank - und schickt mich in die Koje. Ein Geschenk! Nach ein paar Stunden bin ich wieder einigermaßen hergestellt, aber ich darf bis 5 Uhr morgens in der Koje bleiben und dann kann Kirsten endlich Schlaf nachholen. Nach 22 Stunden sind wir dann um 11 Uhr morgens endlich in Klaipeda (ex Memel) in Litauen fest. Hier hat sich viel verändert, der alte Schloßgraben wird umgebaut und wir laufen in den provisorischen Yachthafen auf der Stadtseite ein, da ich den Yachthafen auf der Nehrungseite in schlechter Erinnerung habe: Schwell von den vorbeifahrenden Dampfern ohne Ende. Im "Provisorium" treffen wir wieder die alten Bekannten "Thor" und "Flower" etc., die schon 2 Tage hier sind und morgen weiter wollen. Wir sind zu müde, schlafen lange und fahren am nächsten Tag mit der Fähre "Kintai" auf die Nehrungsseite und sehen nach, wo die "Fortuna" geblieben ist. Aber keine deutsche Yacht im total verwahrlosten Hafen, sie waren wegen der Sturmwarnung umgedreht und nach Hel gelaufen. Hatte ihnen aber auch nichts genützt, die Gewitterfront war schneller. Zurück in Klaipeda sehen wir bei einem Stadtbummel, daß wohl schon einiges an EU-Geldern geflossen sein muß. Neue Straßen, Restaurantgasse und etliche hübsch restaurierte Häuser. Wir buchen einen Tisch im neuen Hafenrestaurant und hoffen vergeblich, dort den Sieg der Deutschen über Spanien am Bildschirm verfolgen zu können. Der Wetterbericht ist für die nächsten Tage nicht so dolle und wir machen das Beste draus. Unsere finnischen Nachbarn geben gute Tipps für die Weiterreise:
Die estnische Insel Kihnu, zu der mein Frank mit mir nie mehr fahren wollte, weil der Hafen total verrottet war, soll ein neues Gesicht haben, Haapsalu dicht, weil Stadt und privater Betreiber sich in den Haaren liegen und Tallinn soll nur noch halbe Anzahl Gastliegeplätze haben, weil inzwischen auch die Esten in größerer Zahl Schiffe besitzen. Na ja, Tallinn haben wir inzwischen durch unsere Verspätung fast "abgehakt", evtl. mit Bus oder Bahn dort hin, weil Kirsten noch nie da war. Wir überlegen sowieso, ob das nicht unsere letzte weite Reise ins Baltikum war, finden, die Wetterlage hat sich total negativ verändert und dazu auch die Hafenliegepreise, seit die Balten zur Europäischen Union gehören. Inzwischen zahlen wir bis auf außergewöhnliche Häfen in Deutschland dort inzwischen weniger. Am nächsten Morgen liegt auf der anderen Pierseite ein Riesen-Kreuzfahrtschiff, die "Jewel of the seas" und aus ihrem Bauch quellen Busladungen von Touristen, die das Kurische Haff erobern wollen. Wir machen währenddessen Frühsport mit unseren finnischen Nachbarn, weil sich der litauische Nachbar beim Ablegen in der Bojenleine des Nebenliegers verfangen hat. 10 Gäste an Bord und alle 0 Ahnung! DAS Foto für diesen Bericht, weil das Kreuzfahrtschiff nicht auf ein Foto passte. Nachmittags wedeln die "Berliner Jungs" von der "Silbermöwe" von Hela kommend ein. Wir wollen am nächsten Morgen früh los, stehen um 5 Uhr auf und sind sehr enttäuscht. Der Wind kommt nicht wie vorhergesagt aus West, sondern aus Nordwest und die vor uns liegenden 50 Seemeilen sind weder segelnd, weil Kreuzekurs, noch mit Motor gegenan zu schaffen, Wir verordnen uns also notgedrungen noch einen Hafentag und fahren - wie die Crew der Silbermöwe - mit dem Bus nach Nidden, was fest in deutscher Touristenhand ist. Dafür haben wir schönstes Wetter. Kirsten geht abends Liegegeld bezahlen, verweigert den Wucherpreis von 20 Euro, der Bosman holt sich Übersetzerhilfe vom Rettungskreuzer, dabei springt der neueste Wetterbericht raus, aber das Liegegeld bleibt bei 20 Euro. Kirsten hält weiterhin ihre 15 Euro hin und daraufhin wird der Hafenbetreiber telefonisch aktiviert, der mit seiner Harley Davidson anrauscht. Kirsten - stur - siegt. 15 Euro! Am nächsten Morgen geht es endlich los, wenn auch - weil schwachwindig - wieder unter Motor. Rollerei durch Dampferwellen, aber keine Kreuzsee. Mir geht es sehr gut, Kochen, Lesen, Bridgespielen und Mittagsschlaf halten - nacheinander natürlich!
19 Uhr fest in Liepaja (ex Libau). Der nette Hafenmanager Karlis empfängt uns mit den Worten: "Ihr Freund erwartet Sie schon sehnsüchtigst. Er hat schon 7 x angerufen und war 2 x hier!" Unser Igor, den wir ja etwas finanziell unterstützen und für den wir wieder etliche Kleidersäcke im Vorschiff mitschleppen, hat mich wohl mißverstanden. Er hat vom Segeln keine Ahnung und glaubte, uns müßte etwas zugestoßen sein. Auch Liepaja hat EU-Gelder verbaut und reiche russische, aber auch lettische Millionäre haben investiert. Ein 5-Sterne-Hotel, Steakhaus, Restaurants, alles vom Feinsten, ziert die Hafenmeile. Aber dann bricht das lettische Fontänen-Festival über uns herein und leider müssen wir - wie auch die inzwischen eingelaufenenen "Manya", "Kipuka" und "Fortuna" - den Lärm des Wetters wegen 3 Tage lang ertragen. Es ist die Hölle, Hölle, Hölle!! Egal, wie weit der Liegeplatz entfernt ist, es dröhnen die Bässe bis morgens um 3 Uhr. Es macht regelrecht agressiv! So sind wir froh, daß die Wetterprognose von Karlis am nächsten Tag günstig ist für Pavilosta (Paulshafen). Alle flüchten am nächsten Morgen, zuerst schönes Segeln, aber dann wird der Wind spitzer und nimmt auch noch zu. Außerdem kommt er aus der Richtung, die für ein Einlaufen in Pavilosta gefährlich werden kann, NNW bis 6! Wir drehen um, kein Risiko und das macht auch die "Silbermöwe". Im Vorhafen nimmt uns die lettische Border Control in Empfang - mit Blaulicht - aber sie meinen es nett, wollen uns zum Yachthafen escortieren, der nicht so einfach zu finden ist. Unser "Silbermöwen"-Skipper Karl-Heinz hat eine neue Crew seit Klaipeda, statt "Hasi" und Carsten (über "Hasi" kann ich mich immer noch nicht beruhigen, der Name paßte wie "Knüppel auf Kopf" bei dem großen Kerl) sind jetzt Peter und Klaus an Bord. "Mein Hase" mußte zurück nach Berlin! Krieg immer noch Lachanfälle. Aber die jetzige Crew sind herrliche Typen. "Laubenpieper" aus Spandau. Wir lachen uns kringelig, besonders über Peter, der 14jährig aus Ostberlin "weggefahren" ist, nicht "getürmt", darauf besteht er, weil er einfach seinen Paß genommen hat und nach Hamburg gefahren ist. Dort hat er dann erstmal als Schiffsjunge angefangen, irgendwann noch Tischler gelernt und ist wieder in Berlin gelandet. Lebensläufe gibt das!
Wir leihen uns ein paar leere Kanister für Diesel, weil wir jetzt gemerkt haben, auch uns ist im Winter beim Schlei-Segel-Club Diesel geklaut worden. Das haben wir jetzt beim Füllen des Tagestanks bemerkt. In Pavilosta gibt es eine Boots-Tankstelle und da werden wir dann endlich feststellen können, wieviel Diesel insgesamt in unseren Tank paßt. Das war von dem Vorbesitzer nicht zu erfahren und läßt sich auch nicht messen, weil es keine Tankanzeige gibt. 400 l stellt sich da heraus, also ca. 100l sind weg! Während des Tankens, das sich wegen Schwierigkeiten mit Kirstens Credit-Karten hinzieht, laufen die ersten Bekannten, wie "Manya", "Kipuka", "Fortuna" etc. wieder aus nach Ventspils (ex Windau). Auch die "Wannabe", die wir mit dem Einhandsegler Rolf schon in Leba trafen, liegt hier. Er hat einen kaputten Zylinderkopf und wartet seit einer Woche auf Ersatz aus Deutschland. Als wir endlich an die Pier kommen, sind die gerade freigewordenen Plätze wieder belegt, aber "Fortuna" liegt wieder da und an der gehen wir längsseits. Bärbel hat den Großbaum auf den Kopf gekriegt, furchtbar geblutet und da hat sich Daiga, die lettische Lebensgefährtin von Wolfgang, eines Deutschen,der hier lebt, mit ihr nach Liepaja aufgemacht zum dortigen Hospital, denn sowas gibt es in diesem Dorf nicht. Horst ist in großer Sorge natürlich, von Gehirnerschütterung bis Schädelbruch alles drin. Gottseidank kommt nach 2 Stunden Entwarnung. Beide Frauen wieder da, Bärbel hat großes Glück gehabt und ist mit einem Stich davongekommen. Horst holt die Sektreserve aus der Backskiste und wir feiern ihren Geburtstag. Morgens laufen alle Vögel wieder aus und wir bekommen unseren eigenen Pierplatz. Heute ist Sauna angesagt im Hafenhaus und abends sind wir im neuen Haus von Wolfgang und Daiga zum Barbecue eingeladen, so warten wir noch mit dem Besuch meiner/unserer Freunde hier, Haralds und Rita, bis morgen. Der Abend wird eine rauschende Party, Fleischspieße, Wein und "Rigas Balzam" (ein Kräuterschnaps) bis zum Abwinken. Rolf trinkt nur ganz wenig und chauffiert uns mit Daiga's Auto zurück zum Hafen. Am späten Vormittag überraschen wir dann Haralds und Rita. Rita arbeitet im Bikini (mit 76 Jahren noch gut anzusehen) im großen Garten. "Mein Gartenarchitekt" sagt Haralds liebevoll. Natürlich müssen wir wieder "bißchen Essen, bißchen Trinken". "Trinken Wodka und singen "Wolga, Wolga" ist Haralds Lieblingsschnack. Dann ziehen wir wieder zurück auf die "Pirol" mit Salat und Erdbeeren und Blumenkohl und Dill und Zwiebeln und, und, und ...! Die beiden kommen dann abends auf Kartoffelsalat mit Würstchen. Und wir werden nochmal reichlich beschenkt mit Erdbeeren, Blumen, selbstgemachten Wein und 2 Flaschen "Rigas Balzam". Man kann die Letten nicht toppen, dagegen finden wir unsere Geschenktasche mit Wein, Schokolade und einem großen Glas von "Schmottes" (Kirsten's Mutter) Rumtopf fast nicht erwähnenswert. Als die beiden nach Hause gehen sind wir beide direkt ein bißchen wehmütig. Ob man sich nochmal wiedersieht? Davon bringt uns dann die Truppe vom letzten Abend wieder ab, der "Rigas Balzam" und einige weitere Getränke schrumpfen. Obgleich es 2 Uhr nachts wird legen wir mit "Fortuna" um 8.30 Uhr ab und laufen nach Ventspils. Hier kassiert man inzwischen zu den 14 Lats (20 Euro) noch 2 Lats pro Person. So langsam ufert das aus. Kirsten muß wieder ran und erreicht mit "wir sind nur 10 m lang und überall kosten 2 Mann oder Frauen Besatzung nichts extra", daß das Liegegeld auf 10 Lats schmilzt. In Zukunft muß sie immer ran. Wir verabreden uns mit "Fortuna", morgen um 6 Uhr Ablegen nach Kuressaare/Ahrensburg/Estland und das klappt. Schöner Segeltag mit Blister und Genua und wenig motoren. Die letzte Meile heißt es nochmal "Luft anhalten". Links und rechts gehen die Möwen zu Fuß. Kirsten hält die Zunge gerade und steuert nach meinem Kommando, denn die Richtbaken voraus sind nur durch's Fernglas zu erkennen. Auch Anlegen ist noch mal schwierig, Wind schräg von achtern läßt die "Pirol" abtreiben, aber mit Hilfe von Hafenmeister und anderen sind wir bald gut fest an der Pier. "Fortuna" hatte da größere Probleme, beim Anlegen riß der Bowdenzug und nur weil an Land schon Helfer parat stehen und Bärbel super reagiert und einen Aufschießer macht, gibt es keine größeren Schäden. Nach einem Rotwein bei Bärbel und Horst mit anderen Nachbarn fallen wir müde in die Koje. Ausgeschlafen erkunden wir dann Kuressaare/Ahrensburg und machen einen Stadtbummel und essen leckere Pfannkuchen, die es hier für wenig Geld in allen Variationen gibt. Kirsten macht Ölwechsel, ich schreibe Logbuch (nach Inge's Mahnung. Du hast ja recht!) und wir planen, ein, zwei, drei Tage hierzubleiben. Es gibt viel zu sehen, angefangen bei der beeindruckenden Ahrensburg bis hin zu den einladenden Kunstgewerbegeschäften der hübschen Innenstadt. Liegegebühren allerdings auch hier: 300 EestiKrona oder 20 Euro. Scheint inzwischen Standard zu sein. Mal sehen. Wir werden berichten.